Manche Bücher müssen gekostet werden,
manche verschlingt man,
und nur einige wenige kaut man
und verdaut sie ganz.

Cornelia Funke. Tintenherz

Dienstag, 4. Januar 2005

Die Bertinis

 

Der autobiographische Roman Ralph Giordanos beschreibt erschütternd akkurat und sensibel, wie sich das NS-Gewaltregime seinen Weg in die Köpfe der Deutschen gebahnt hat. Ausgrenzung, Hass und Verfolgung wegen seiner jüdischen Mutter zerstören die Welt seiner Barmbeker Kindheit, Todesangst schleicht sich in den Alltag. Aber es gibt auch couragierte Hamburger, die ihm helfen, am Kriegsende zu überleben.Eine großangelegte Familien-Saga, ein exemplarischer Zeitroman. Ralph Giordano formt einen bisher wenig beachteten Stoff episch aus: Er erzählt vom Schicksal sogenannter »jüdischer Mischlinge« in den Jahren der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Die Vorgeschichte beginnt Ende des letzten Jahrhunderts, die eigentliche Handlung setzt vor 1933 ein und führt in die ersten Nachkriegsjahre. Ihr Schauplatz: Hamburg von den Elbvororten bis zum Stadtpark, von Barmbek im Norden bis zum Hafen im Süden, mit unvergesslichen, in den dramatischen Ablauf verwobenen Gestalten, Bildern, Situationen. Fast unglaublich ist diese Geschichte: Der Autor hat mit seiner Fantasie die nackte Realität überhöht; es ist ihm gelungen, eine sinnfällige Schilderung von Menschen unter bestimmten Bedingungen zu schaffen und eine Zeit zurückzurufen, die mit überwältigender Macht in das Leben aller eingegriffen hat. Nichts wird geschönt, keine bittere Erkenntnis verschwiegen. Doch was immer es an Furchtbarem gab: Die Liebe zu Hamburg, diese ganz unsentimentale Heimatliebe, bleibt unerschüttert und ist entscheidend für die Zukunft der Bertinis.